Gut zwei von drei Deutschen halten die Stagnation der deutschen Wirtschaft für gravierender als eine gewöhnliche Schwächephase. Etwa genauso viele halten Reformen deshalb für dringend notwendig, damit Deutschland international wettbewerbsfähig bleibt und der Lebensstandard nicht sinkt. Diese Einsicht sei aber „kein Garant dafür, dass auch Veränderungen mitgetragen werden, die in eigene Interessen eingreifen“
Das ist die Einstellung die einem in Deutschland gefühlt an jeder Ecke entgegenschlägt. Die Leute begreifen schon, dass sich dringend was ändern soll. Aber doch bitte nicht bei ihnen im Hinterhof!
Find ich aber nett, dass sich damit nun nicht mehr nur Klimaschützer und Sozialstaatsbefürworter rumschlagen müssen sondern jetzt wohl auch Konservative.
Also wenn du mir erzählen möchtest, dass die Produktivität steigt, dann schaue dir bitte mal deinen Link genauer an. Und zwar den Teil von 2015 (100) bis 2019 (103,1) In vier (!) Jahren nur 3,1 % Produktivitätszunahme ist für ein Industrieland super schlecht.
Den demographischen Wandel siehst du übrigens überall. Augen aufmachen: Self-service Kasse, häufiger Unterrichtsausfall, fehlende Kitaplätze, Neukundensperren bei Handwerkern, Soldatenknappheit und so weiter. Oder einfach mal auf der Arbeit bis 5 durchzählen. Jeder Fünfte ist bis 2030 - also in 5 Jahren - in Rente.
Da hilft sich Plan (b) der Regierung kaum, Frauen und Ältere stärker und länger zum Arbeiten anzuhalten.
Die Möglichkeit Zuwanderung sehe ich für die nächsten 5 Jahre nicht mehr. Bräucht DE ca 400.000 pro Jahr. (So viele Wohnungen hätten wir gar nicht)
https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen-Inlandsprodukt/Tabellen/inlandsprodukt-personenkonzept.html
https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/Erwerbspersonenvorausberechnung-2020.html
https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen-Inlandsprodukt/Methoden/bip.html
Naja, Zunahme ist halt nicht Sinken. Aber gut, dein erster Link mit aktuelleren Zahlen zeigt ja durchaus einen leichten Rückgang.
Interessanterweise ausgerechnet im Produzierenden Gewerbe, nicht “in allen Sektoren ausser Maschinenbau und Industrie”.
Dass die Produktivität in den anderen Sektoren weiter wächst, stützt jetzt auch nicht unbedingt die These, dass das durch den demographischen Wandel begründet wäre.
Ich würde da den Grund eher in mangelnden Investitionen sehen, für Modernisierung der Infrastruktur, Energiewende, etc
Den demographischen Wandel habe ich gar nicht diskutiert. Du hast von einer “stark sinkenden Anzahl von Produktivkräften (Arbeitnehmern)” gesprochen.
Meine Links zeigen einen Anstieg der Arbeitnehmer sowohl in absoluten Zahlen als auch als Anteil der Gesamtbevölkerung. Und auch dass die geleisteten Arbeitsstunden nicht sinken.
Die Erwerbspersonenvorausberechnung fürs Jahr 2060 kann man gern als Warnung nehmen aber hypothetische Annahmen für die Ferne Zukunft sind keine belastbaren Zahlen.
Wenn du richtige Zahlen haben die einen echten Rückgang der Erwerbstätigen zeigen, teil sie gerne.
Dann hast du mich vermutlich falsch verstanden, denn ich habe NICHT vom demographischen Wandel in Bezug auf Produktivität gesprochen, sondern die zu einfachen Thesen am Anfang des Threads in Frage gestellt, wo ja gerade die „modernen“ Themen in dem ursprünglichen Marx-Konzept fehlen.
Die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden ist ein Volumen, welches man im Kontext sehen sollte. Meine Fragen dazu wären: Wie sieht das pro Kopf aus? Und wie viele Köpfe sind das überhaupt? Und Vollzeit versus Teilzeit.
Hab gerade Zeit und Bock das genauer anzuschauen :)
Alles 5 Jahres- und 20 Jahressicht.
https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/Tabellen/erwerbstaetigenquoten-gebietsstand-geschlecht-altergruppe-mikrozensus.html
https://de.statista.com/infografik/34509/arbeitsstunden-der-erwerbstaetigen-in-deutschland/
-Gründe für die Halbzeittätigkeit der Frauen sind Pflege von Angehörigen (25%) und Eigener Wunsch (25%)
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Grafiken/Newsroom/2024/_Interaktiv/20240116-zdw-teilzeitbeschaeftigte.html
https://www.wiwo.de/dpa/arbeitsmarkt-teilzeitquote-in-deutschland-auf-rekordniveau/30356522.html
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1224/umfrage/arbeitslosenquote-in-deutschland-seit-1995/
https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Demografischer-Wandel/textbaustein-taser-blau-bevoelkerungszahl.html?nn=238640
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2025/01/PD25_030_124.html
Also würde ich Zusammenfassen:
Deutschland stagniert in EW Anzahl und wird schrumpfen, da Zuwanderung politisch und organisatorisch nicht möglich ist.
Die geburtenstarken Jahrgänge arbeiten weiterhin viel Vollzeit und einige Männer wechseln in Teilzeit über.
Frauen arbeiten viel Teilzeit und weniger in MiniJobs, da mehr Stunden.
Insgesamt haben die Arbeitsstunden zugenommen, da viel mehr Teilzeit in Pflege und Kinderbetreuung. (Beides btw schlecht automatisierbar, d.h. kaum Produktivitätserhöhung pro AN möglich)
Weiterhin werden 20% der AN bis 2030 in Rente gehen.
Produktivität sinkt insgesamt
Arbeitslosigkeit im 5 Jahren stagnierend niedrig
Deutschland steckt seit 3 Jahren in der Rezession mit keinem Wirtschaftswachstum
Verluste bei Produktion und Zuwachs bei Dienstleistung (Pflege und Kinderbetreuung)
Für mich deutet das auf eine Sackgasse hin. Wenn die Wirtschaft wieder anspringen sollte, dann fehlen die Arbeitskräfte in der Produktion. Also da wo die Löhne hoch sind. In der Pflege und Kinderbetreuung werden auch viele Arbeitskräfte fehlen, der Bedarf ist ja jetzt schon hoch.
Weiterhin sieht man die schleichende Verarmung der Mittelschicht, da immer mehr Frauen „gezwungen“ werden Geld zum Haushalt beizutragen mit einem Teilzeitjob. Das Adenauersche Weltbild Mann-Hausfrau-2 Kinder ist nicht mehr finanzierbar.
Sorry für den Edit: Ich musste Zwischenspeichern, sonst gehen die Textblöcke noch flöten
Also mal kleiner Tipp: wenn du schon selber sagst, dass die AN-quote um 10 Prozentpunkte bei Männern und 14 %P bei Frauen steigt, dann widerspricht das direkt der Aussage, dass sie konstant ist. Da hilft auch “relativ” nicht.
Das ist ein klarer Anstieg.
Man beachte bitte (a) relativ konstant die letzten FÜNF Jahre
Und (b) ein Zuwachs in den letzten ZWANZIG Jahren
Habe ich oben geschrieben und wird derjenige auch sehen, der sich die Links mal anschaut bevor er kommentiert
Da würde der werte Kommentator sogar sehen, dass von 2019 auf 2020 die AN Quote der Männer sogar gesunken ist, obwohl sie langfristig gestiegen ist. Zeitverläufe halt
Ah, stimmt das habe ich tatsächlich übersehen.
Da hab ich tatsächlich nicht auf alle Details im ganzen DinA4 langen Kommentar und den 7 verlinkten Quellen geachtet.
Aber argumentativ ändert das doch nichts. Meine Zahlen zeigen einen 30 Jahre Anstieg, deine Zahlen zeigen einen 20 Jahre Anstieg.
Dass jetzt die letzten 5 Jahre relativ stabil waren ändert doch nichts daran, dass die Quote auf einem 30-jährigen Höchststand ist.
Inwiefern soll das ein Argument für noch mehr Arbeit sein?
Du hast selber schon dargelegt, dass die Produktivität sinkt. Warum soll das ausgerechnet mit mehr Arbeit kompensiert werden?
Warum sollten nicht Industrie und Politik eher wieder in höhere Produktivität investieren?
Meinst du man kann die von dir selbst angesprochene Überlastung in der Pflege dadurch beheben, die Pfleger noch weiter zu belasten?
Ich vertrete gar nicht die Meinung, dass wir noch mehr arbeiten müssen. Da misst du mich falsch verstanden haben.
Wir haben eher das Problem, dass wir zu viel Arbeit und weniger Menschen haben, die diese schultern kann. Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Dann fallen solche Bullshit-Jobs wie Pizza-Delivery weg. Oder Putzhilfe.
Da wird sicherlich viel in der Dienstleistungsbranche automatisiert werden in den nächsten Jahren. Sei es SB-Kassen, Self Check-Out, Delivery Roboter, Putzroboter und so weiter. Finde ich gut. Besser als, wie wenn der Supermarkt oder das Restaurant zumacht wegen Personalmangel.
Ok, wir scheinen tatsächlich näher beieinander zu sein als ich zuerst dachte. Ich würde dir hier aber trotzdem zumindest teilweise widersprechen:
Das mag sektorbezogen stimmen aber ich denke nicht, dass man das auf die gesamte Wirtschaft übertragen kann.
Und gerade beim oft zitierten Beispiel Pflege müsste das ja nicht durch mehr Arbeit einzelner Pflegekräfte erreicht werden sondern durch mehr Pflegekräfte/ bessere Personalschlüssel und letztendlich bessere Arbeitsbedingungen was auch weniger individuelle Arbeitszeit beinhaltet.
Auch hier würde ich teilweise zustimmen. Die ganzen Lieferdienste können weg, meinetwegen auch die ganze Werbebranche.
Nötige Tätigkeiten wie Putzen durch Roboter zu ersetzen, damit die Leute dann was sinnvolleres machen können, ist auch nicht per se schlimm.
Aber auch das ist ja nicht ein Mangel an Arbeitskraft sondern an Innovation.
Denke ich auch - nah beieinander und leichte Unterschiede im Detail ;)
Die Werbebranche bei den Bullshit-Jobs habe ich ganz vergessen. Die sollte komplett eingestampft werden. Was da an Geld verbrannt wird, für Sachen, die die Menschheit nicht braucht.
Da bin ich leider skeptisch, weil das ja alle Branchen/ Bereiche behaupten, um ihren Arbeitskräftemangel zu beheben: Lehrer, Soldaten, Polizisten, Handwerker, Müllwerker, und und und Hört man ständig im Radio oder TV. Das Dumme ist nur, es ist der Strukturwandel durch die Demografie. Man kann maximal aus anderen Branchen AN abziehen. Aber es werden insgesamt nicht mehr. Wir müssen produktiver werden, Bullshitjobs aufhören oder länger Arbeiten - was ich aber für eine kurzfristige Lösung halte und es vermutlich nicht viel bringen wird.
Der Dienstleistungsbereich ließ sich bis vor ein paar Jahren schlecht automatisieren. Maximal Digitalisieren. Aber es geht inzwischen, da es bessere und günstigere Serviceroboter gibt.
Tja und das Handwerk. Auweia. Die leben und arbeiten teilweise im Mittelalter mit Ständekultur oder in den 90igern. Es gibt nur wenige Handwerker, die moderen Tools einsetzen. Was ich da in den letzten Jahren erlebt habe - aber das ist ein neuer langer Thread.