Gut zwei von drei Deutschen halten die Stagnation der deutschen Wirtschaft für gravierender als eine gewöhnliche Schwächephase. Etwa genauso viele halten Reformen deshalb für dringend notwendig, damit Deutschland international wettbewerbsfähig bleibt und der Lebensstandard nicht sinkt. Diese Einsicht sei aber „kein Garant dafür, dass auch Veränderungen mitgetragen werden, die in eigene Interessen eingreifen“
Das ist die Einstellung die einem in Deutschland gefühlt an jeder Ecke entgegenschlägt. Die Leute begreifen schon, dass sich dringend was ändern soll. Aber doch bitte nicht bei ihnen im Hinterhof!
Find ich aber nett, dass sich damit nun nicht mehr nur Klimaschützer und Sozialstaatsbefürworter rumschlagen müssen sondern jetzt wohl auch Konservative.
Unsere Unternehmen haben ein Problem mit Unterauslastung. Steigende Arbeitszeit bei gleichem Lohn ändert daran genau nichts, oder verschärft sogar das Problem, wenn dadurch Stellen abgebaut werden. Die Nachfrage fehlt, und um die anzukurbeln müssten die Reallöhne steigen.
Das ist ein wenig unterkomplex betrachtet und wirkt wie aus einem Marx Lehrbuch.
Wo ist denn dort der demographische Wandel verortet? Mit einer stark sinkenden Anzahl von Produktivkräften (Arbeitnehmern)
Eine sinkende Produktivität in allen Sektoren ausser Maschinenbau und Industrie sorgt auch für Mehrarbeit bei weniger Output. Stichwort fehlende Digitalisierung und unterbundene Automatisierung dank Niedriglohnsektor.
Und die Nachfrage ankurbeln durch Lohnerhöhung mag in vielen Ländern funktionieren. In einem Land, das seine Wirtschaft stark auf Export aufgebaut hat, bringt das ziemlich wenig. Eher gehen Marktanteile verloren in einer weltweiten Wirtschaftsflaute.
Und wo, außer im Lehrbuch, soll man die bitte sehen?
Die insgesamt geleisteten Arbeitsstunden sind trotz steigender Produktivität so hoch wie eh und je.
https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61711/arbeitszeit-und-arbeitsvolumen/
Die pro Kopf Arbeitsstunden sind zwar etwas rückläufig und unten dem Wert anderer Länder, wie gerade die Union immer wieder betont. Das liegt aber daran, dass ein immer größerer Teil der Bevölkerung am Arbeitsmarkt teilnimmt, wenn auch nur in Teilzeit.
https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61685/erwerbstaetigkeit/
https://www1.wdr.de/nachrichten/wirtschaft/arbeit-arbeitszeit-deutschland-europa-vergleich-100.html
Eine Untersuchung nach der die Produktivität direkt sinkt kenne ich jetzt nicht. Aber selbst wenn, wäre das ja nur ein Argument für Investitionen und Gesetzesänderungen für mehr Produktivität, nicht mehr Arbeitsaufwand.
Deutschland hat aber nicht zu 100% nur Exportwirtschaft. Es gibt auch Unternehmen, die an die Deutschen verkaufen.
Gegen eine “weltweite Wirtschaftsflaute” kann die deutsche Politik auch wenig machen aber gerade dann, wenn die Exportwirtschaft schwächelt wäre das doch ein Idealer Zeitpunkt sich mal Gedanken über die Binnenwirtschaft zu machen, der mehr Binnennachfrage ganz gut täte.
Es sei denn, man will dass alle Wirtschaftszweige gleichzeitig Scheiße laufen. Ich weiß aber nicht, wie das das Land voran bringen soll.
PS. Ich weiß die Zahlen der BPB sind ein paar Jahre alt aber ich finde sie recht anschaulich und denke nicht, dass sich die 30 jährigen Entwicklungen ganz plötzlich umgedreht haben. Wer neuere Zahlen hat, kann sie gerne teilen.
Also wenn du mir erzählen möchtest, dass die Produktivität steigt, dann schaue dir bitte mal deinen Link genauer an. Und zwar den Teil von 2015 (100) bis 2019 (103,1) In vier (!) Jahren nur 3,1 % Produktivitätszunahme ist für ein Industrieland super schlecht.
Den demographischen Wandel siehst du übrigens überall. Augen aufmachen: Self-service Kasse, häufiger Unterrichtsausfall, fehlende Kitaplätze, Neukundensperren bei Handwerkern, Soldatenknappheit und so weiter. Oder einfach mal auf der Arbeit bis 5 durchzählen. Jeder Fünfte ist bis 2030 - also in 5 Jahren - in Rente.
Da hilft sich Plan (b) der Regierung kaum, Frauen und Ältere stärker und länger zum Arbeiten anzuhalten.
Die Möglichkeit Zuwanderung sehe ich für die nächsten 5 Jahre nicht mehr. Bräucht DE ca 400.000 pro Jahr. (So viele Wohnungen hätten wir gar nicht)
https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen-Inlandsprodukt/Tabellen/inlandsprodukt-personenkonzept.html
https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/Erwerbspersonenvorausberechnung-2020.html
https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen-Inlandsprodukt/Methoden/bip.html
Naja, Zunahme ist halt nicht Sinken. Aber gut, dein erster Link mit aktuelleren Zahlen zeigt ja durchaus einen leichten Rückgang.
Interessanterweise ausgerechnet im Produzierenden Gewerbe, nicht “in allen Sektoren ausser Maschinenbau und Industrie”.
Dass die Produktivität in den anderen Sektoren weiter wächst, stützt jetzt auch nicht unbedingt die These, dass das durch den demographischen Wandel begründet wäre.
Ich würde da den Grund eher in mangelnden Investitionen sehen, für Modernisierung der Infrastruktur, Energiewende, etc
Den demographischen Wandel habe ich gar nicht diskutiert. Du hast von einer “stark sinkenden Anzahl von Produktivkräften (Arbeitnehmern)” gesprochen.
Meine Links zeigen einen Anstieg der Arbeitnehmer sowohl in absoluten Zahlen als auch als Anteil der Gesamtbevölkerung. Und auch dass die geleisteten Arbeitsstunden nicht sinken.
Die Erwerbspersonenvorausberechnung fürs Jahr 2060 kann man gern als Warnung nehmen aber hypothetische Annahmen für die Ferne Zukunft sind keine belastbaren Zahlen.
Wenn du richtige Zahlen haben die einen echten Rückgang der Erwerbstätigen zeigen, teil sie gerne.
Dann hast du mich vermutlich falsch verstanden, denn ich habe NICHT vom demographischen Wandel in Bezug auf Produktivität gesprochen, sondern die zu einfachen Thesen am Anfang des Threads in Frage gestellt, wo ja gerade die „modernen“ Themen in dem ursprünglichen Marx-Konzept fehlen.
Die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden ist ein Volumen, welches man im Kontext sehen sollte. Meine Fragen dazu wären: Wie sieht das pro Kopf aus? Und wie viele Köpfe sind das überhaupt? Und Vollzeit versus Teilzeit.
Hab gerade Zeit und Bock das genauer anzuschauen :)
Alles 5 Jahres- und 20 Jahressicht.
https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/Tabellen/erwerbstaetigenquoten-gebietsstand-geschlecht-altergruppe-mikrozensus.html
https://de.statista.com/infografik/34509/arbeitsstunden-der-erwerbstaetigen-in-deutschland/
-Gründe für die Halbzeittätigkeit der Frauen sind Pflege von Angehörigen (25%) und Eigener Wunsch (25%)
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Grafiken/Newsroom/2024/_Interaktiv/20240116-zdw-teilzeitbeschaeftigte.html
https://www.wiwo.de/dpa/arbeitsmarkt-teilzeitquote-in-deutschland-auf-rekordniveau/30356522.html
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1224/umfrage/arbeitslosenquote-in-deutschland-seit-1995/
https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Demografischer-Wandel/textbaustein-taser-blau-bevoelkerungszahl.html?nn=238640
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2025/01/PD25_030_124.html
Also würde ich Zusammenfassen:
Deutschland stagniert in EW Anzahl und wird schrumpfen, da Zuwanderung politisch und organisatorisch nicht möglich ist.
Die geburtenstarken Jahrgänge arbeiten weiterhin viel Vollzeit und einige Männer wechseln in Teilzeit über.
Frauen arbeiten viel Teilzeit und weniger in MiniJobs, da mehr Stunden.
Insgesamt haben die Arbeitsstunden zugenommen, da viel mehr Teilzeit in Pflege und Kinderbetreuung. (Beides btw schlecht automatisierbar, d.h. kaum Produktivitätserhöhung pro AN möglich)
Weiterhin werden 20% der AN bis 2030 in Rente gehen.
Produktivität sinkt insgesamt
Arbeitslosigkeit im 5 Jahren stagnierend niedrig
Deutschland steckt seit 3 Jahren in der Rezession mit keinem Wirtschaftswachstum
Verluste bei Produktion und Zuwachs bei Dienstleistung (Pflege und Kinderbetreuung)
Für mich deutet das auf eine Sackgasse hin. Wenn die Wirtschaft wieder anspringen sollte, dann fehlen die Arbeitskräfte in der Produktion. Also da wo die Löhne hoch sind. In der Pflege und Kinderbetreuung werden auch viele Arbeitskräfte fehlen, der Bedarf ist ja jetzt schon hoch.
Weiterhin sieht man die schleichende Verarmung der Mittelschicht, da immer mehr Frauen „gezwungen“ werden Geld zum Haushalt beizutragen mit einem Teilzeitjob. Das Adenauersche Weltbild Mann-Hausfrau-2 Kinder ist nicht mehr finanzierbar.
Sorry für den Edit: Ich musste Zwischenspeichern, sonst gehen die Textblöcke noch flöten
Also mal kleiner Tipp: wenn du schon selber sagst, dass die AN-quote um 10 Prozentpunkte bei Männern und 14 %P bei Frauen steigt, dann widerspricht das direkt der Aussage, dass sie konstant ist. Da hilft auch “relativ” nicht.
Das ist ein klarer Anstieg.
Man beachte bitte (a) relativ konstant die letzten FÜNF Jahre
Und (b) ein Zuwachs in den letzten ZWANZIG Jahren
Habe ich oben geschrieben und wird derjenige auch sehen, der sich die Links mal anschaut bevor er kommentiert
Da würde der werte Kommentator sogar sehen, dass von 2019 auf 2020 die AN Quote der Männer sogar gesunken ist, obwohl sie langfristig gestiegen ist. Zeitverläufe halt
Ah, stimmt das habe ich tatsächlich übersehen.
Da hab ich tatsächlich nicht auf alle Details im ganzen DinA4 langen Kommentar und den 7 verlinkten Quellen geachtet.
Aber argumentativ ändert das doch nichts. Meine Zahlen zeigen einen 30 Jahre Anstieg, deine Zahlen zeigen einen 20 Jahre Anstieg.
Dass jetzt die letzten 5 Jahre relativ stabil waren ändert doch nichts daran, dass die Quote auf einem 30-jährigen Höchststand ist.
Inwiefern soll das ein Argument für noch mehr Arbeit sein?
Du hast selber schon dargelegt, dass die Produktivität sinkt. Warum soll das ausgerechnet mit mehr Arbeit kompensiert werden?
Warum sollten nicht Industrie und Politik eher wieder in höhere Produktivität investieren?
Meinst du man kann die von dir selbst angesprochene Überlastung in der Pflege dadurch beheben, die Pfleger noch weiter zu belasten?